In ihm verdichten sich die Gegensätze des 20. Jahrhunderts: 1918 das Ende der Monarchie und der Aufbruch in die Demokratie, 1938 die Schande der nationalsozialistischen Pogrome, 1989 der Mut zum friedlichen Neuanfang. Hoffnung und Entsetzen, Aufbruch und Absturz, Fortschritt und Verbrechen – selten liegen Licht und Schatten so nah beieinander wie an diesem Tag. Kein anderes Datum erzählt so eindrücklich, was dieses Land über sich selbst lernen musste: dass Demokratie nie selbstverständlich ist. Sie kann errungen, verraten, zerstört und neu begründet werden – und sie verlangt, Tag für Tag, das aktive Engagement der Vielen.
Im Jahr 2025 erlebt Deutschland erneut eine gefährliche Phase der Polarisierung. Autoritäre Kräfte gewinnen an Einfluss, rechtsextreme Positionen dringen in die Mitte der Gesellschaft vor, und das Vertrauen in demokratische Institutionen schwindet. In Umfragen wie an den Werkstoren zeigt sich ein beunruhigendes Bild: Viele Menschen sind verunsichert – über ihre wirtschaftliche Zukunft, über den gesellschaftlichen Zusammenhalt, über die Richtung, in die das Land steuert. Die neue Friedrich-Ebert-Stiftung-Mitte-Studie „Die angespannte Mitte“ unterstreicht diese Entwicklung. Sie beschreibt eine Gesellschaft, die zwischen Stabilität und Spaltung taumelt. Während sich eine Mehrheit klar zur Demokratie bekennt, gewinnen zugleich autoritäre Denkmuster an Raum: 15 Prozent der Befragten wünschen sich „einen starken Führer“, ein Viertel befürwortet „eine einzige starke Partei“. Diese Tendenz ist keine Randnotiz, sondern Ausdruck einer tieferliegenden Krise – einer schwindenden sozialen Sicherheit, wachsender Ungleichheit und politischer Entfremdung.
„Die eigentliche Stärke unserer Demokratie liegt in der Stabilität des Alltags“, erklärt Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. „Sie zeigt sich dort, wo Menschen morgens zur Arbeit gehen, Verantwortung übernehmen, Nachbarn helfen und sich einbringen. Nicht in Fernsehdebatten oder Parteitagen wird Demokratie entschieden, sondern in der Art, wie wir miteinander umgehen – im Betrieb, auf der Straße, im Verein, in der Kantine. Und dieser Alltag wird in den Betrieben gestaltet – durch gute Arbeit, tarifliche Sicherheit und das gemeinsame Erleben von Solidarität.“
Tatsächlich entsteht in Werkhallen, Büros und Werkstätten weit mehr als wirtschaftlicher Wert. Dort, wo Menschen gemeinsam an Produkten und Projekten arbeiten, wächst Vertrauen – und mit ihm das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Industriearbeitsplätze sind Orte sozialer Verankerung. Sie stiften Identität, schaffen Wohlstand und geben Halt. Wo Arbeit sicher ist, Tarifverträge gelten und Beschäftigte mitgestalten, bleibt Demokratie greifbar. Wo hingegen Unsicherheit und Perspektivlosigkeit um sich greifen, finden die Brandstifter mit ihren einfachen Parolen offene Ohren. „Die Geschichte lehrt uns: Soziale Spaltung ist der Nährboden für Demokratieverdruss“, mahnt der Metaller. „Wer den Menschen den Boden unter den Füßen entzieht, schafft Raum für die Falschen, bei denen Menschen dann Halt suchen. Deshalb müssen Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften gemeinsam dafür sorgen, dass Sicherheit und Perspektive keine leeren Versprechen bleiben.“
Die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt fordert von Bundes- und Landesregierungen eine Politik mit Rückgrat und Richtung – eine, die Orientierung gibt, statt Unmut zu verwalten. Symbolpolitik reicht nicht aus; gefragt sind Verlässlichkeit, Substanz und Nähe. „Die Bundesregierung und die Länder müssen gemeinsam Sicherheit schaffen“, betont der Gewerkschafter. „Wir brauchen eine vorausschauende Industrie- und Strukturpolitik, die Beschäftigung schützt und Zukunftsinvestitionen fördert – und eine Standortpolitik, die nicht den kurzfristigen Interessen des Kapitals, sondern den langfristigen Bedürfnissen der Menschen folgt.“
Gleichzeitig gilt es, die soziale Spaltung zu überwinden: durch stärkere Tarifbindung, eine gerechte Steuerpolitik und den Ausbau öffentlicher Daseinsvorsorge. Denn Vertrauen entsteht dort, wo Gerechtigkeit erfahrbar ist. Politik, so Gröger, müsse wieder näher an den Menschen sein – zuhören, erklären, handeln –, nicht über ihnen schweben. „Nur wenn Bürgerinnen und Bürger spüren, dass ihre Lebensrealität verstanden wird, kann das demokratische Fundament standhalten.“
Gerade in Zeiten der Transformation suchen viele nach Orientierung. „Menschen brauchen in unsicheren Zeiten Anker“, so der Bezirksleiter. „Wenn demokratische Politik ihnen keine bietet, besetzen andere dieses Feld – mit Angst, mit Hass, mit falschen Versprechen. Deshalb darf die gesellschaftliche Mitte nicht weiter erodieren, sondern muss gestärkt werden: durch eine Politik, die Arbeit, Würde und Mitbestimmung ins Zentrum stellt.“
In den Betrieben zeigt sich täglich, was Demokratie praktisch bedeutet: zuhören, Kompromisse finden, Verantwortung übernehmen. Das ist gelebte Beteiligung – und der wirksamste Schutz gegen Spaltung. Wo Beschäftigte erleben, dass ihre Arbeit geschätzt wird, dass politische Entscheidungen nachvollziehbar sind und dass Solidarität trägt, wächst Vertrauen – und mit ihm die Demokratie.
Doch rechte Gruppierungen versuchen, genau dieses Vertrauen zu untergraben. Sie geben sich als „Vertreter der kleinen Leute“, wollen in Wahrheit aber Gewerkschaften schwächen, Betriebsräte diskreditieren und Belegschaften spalten. Ihr Kalkül ist simpel: Wo Misstrauen wächst, lässt sich Solidarität zersetzen. Mit lautstarken Parolen gegen „Funktionäre“ oder „Eliten“ verwandeln sie berechtigte Sorgen in Ressentiments. Sie stellen Tarifverträge als Zwang dar, Mitbestimmung als Hemmschuh und Vielfalt als Bedrohung. Statt Lösungen anzubieten, liefern sie Feindbilder. „Wir dürfen das nicht verharmlosen“, warnt Gröger. „Wer Mitbestimmung schwächt, schwächt Vertrauen. Wer Tarifverträge infrage stellt, gefährdet soziale Stabilität. Und wer Beschäftigte gegeneinander aufhetzt, zerstört das Rückgrat unserer Gesellschaft.“