Im Zentrum stehen der reale Kaufkraftverlust der Beschäftigten seit 2022 sowie die deutliche Aufwertung der Ausbildungsvergütungen. Die wirtschaftliche Grundlage ist klar: Die Verbraucherpreise sind seit Anfang 2022 um 17,4 Prozent gestiegen, die Entgelte sind im gleichen Zeitraum lediglich um 12,9 Prozent gestiegen. Der Abstand von 4,5 Prozent bedeutet für viele Beschäftigte eine dauerhafte reale Einkommenslücke. Gerade bei konstant hohen Kosten für Energie, Mobilität und Wohnen wird das zunehmend spürbar. „Die Forderung ist keine Übertreibung, sondern notwendig, um die wirtschaftliche Entwicklung auszugleichen“, erklärt Markus Wente, Verhandlungsführer der IG Metall. „Wer die Leistungsfähigkeit der Belegschaften sichern will, muss sie auch anständig bezahlen. Die Beschäftigten haben die Preissteigerungen längst im Portemonnaie gemerkt – jetzt muss das auch im Tarifvertrag ankommen.“
Die Ausbildungsvergütungen in der Holz- und Kunststoffindustrie (HVI) liegen in Niedersachsen deutlich unter dem Niveau anderer Branchen. Im vierten Ausbildungsjahr etwa beträgt der Unterschied zur Metall- und Elektroindustrie 17,4 Prozent – bei gleichem Ausbildungsaufwand. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels sei diese Schieflage weder haltbar noch erklärbar, so Wente. „Wer junge Menschen für unsere Branche gewinnen will, muss ihnen auch faire und wettbewerbsfähige Bedingungen bieten. Ausbildungsvergütungen müssen zumindest annähernd ein eigenständiges Leben ermöglichen.“
Darüber hinaus fordert die IG Metall erneut eine mitgliederwirksame Komponente – also tarifliche Vorteile ausschließlich für Mitglieder. Bereits in der letzten Tarifrunde wurde in Niedersachsen ein solcher Bonus vereinbart. Die Gewerkschaft will damit ein besonderes Zeichen der Wertschätzung gegenüber bestehenden Mitgliedern durchsetzen und zugleich neuen Mitgliedern den Weg in die IG Metall erleichtern: „Tarifverträge fallen nicht vom Himmel. Sie sind das Ergebnis organisierter Interessenvertretung und starker Belegschaften – ohne sie gäbe es keine Tarifverträge. Hier zeigt sich, ob die Sozialpartner auf der Arbeitgeberseite ihre Rolle ernst nehmen oder nicht. Denn nur wer Mitglied ist, hat Anspruch auf tarifliche Leistungen – Trittbrettfahrer jedoch leben gefährlich, wenn sie sich nur auf andere verlassen“, so Wente.
Die nächsten Schritte stehen fest: Die Tarifkommission hat die Forderung am 6. Oktober beschlossen, am 21. Oktober folgte die Bestätigung durch den Vorstand. Der Verhandlungsauftakt ist für den 20. November vorgesehen. Am 13. Dezember endet die Friedenspflicht – ab diesem Zeitpunkt wären Warnstreiks rechtlich möglich. „Zur Not sind wir auch bereit, unsere Forderungen im Konflikt durchzusetzen. Es geht nicht um Maximalforderungen, sondern um wirtschaftlich tragfähige Lösungen“, so Wente. „Jetzt ist der Moment der Arbeitgeberseite, um Verantwortung zu zeigen – für die Beschäftigten und für die Zukunft der Branche.“
Die Holz- und Kunststoffindustrie fertigt Möbel, Fenster, Türen, Verpackungen, Bauelemente und ist Zulieferer der Automobilindustrie – oft im Hintergrund, aber systemrelevant für viele Wertschöpfungsketten. Der wirtschaftliche Wandel stellt viele Betriebe vor Herausforderungen. Dennoch gilt: Wer Transformation will, braucht verlässliche Beschäftigung. In Niedersachsen sind 18.000 Kolleginnen und Kollegen in der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie beschäftigt, in Sachsen-Anhalt sind es circa 4.500 Beschäftigte.