Wer das Stadtbild deutscher Städte zunächst pauschal als „Problem“ im Zusammenhang mit Migration beschreibt, schürt nicht nur Vorurteile, sondern stellt Millionen Bürgerinnen und Bürger dieses Landes unter Generalverdacht. „Diese Aussage reiht sich ein in eine bedenkliche Tradition entgleister konservativer Rhetorik, die sich auf Kosten von Menschen mit Migrationsgeschichte profilieren will. Damals beschrieb Seehofer die Migration als ‚Mutter aller Probleme‘, nun schließt Merz mit seinen Stadtbild-Aussagen nahtlos an. Das ist bewusste Polarisierung mit politischem Kalkül – balancierend auf der Rhetorik von Rechtsaußen!“, sagt Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. „Wir laden den Kanzler ein, mit unseren Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen – direkt im Betrieb, nicht aus der Parteizentrale heraus. Dort erlebt man, wie vielfältig, engagiert und solidarisch das wahre Stadtbild in diesem Land ist. Wer nur zwischen Arnsberg und Berlin auf der A2 unterwegs ist oder als Außenkanzler Weltpolitik macht, verpasst die Realität, die dieses Land zusammenhält.“
Die IG Metall in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt stellt klar: Es sind nicht Menschen mit Migrationsgeschichte, die unsere Städte vor Herausforderungen stellen – es ist die Untätigkeit der Politik in vielen Feldern. Wer ernsthaft glaubt, das Erscheinungsbild deutscher Städte sei das Ergebnis von Zuwanderung, lenkt gezielt von den echten Missständen ab:
- von maroden Schulgebäuden und unterbesetzten Kitas,
- von unbezahlbarem Wohnraum und wachsender sozialer Spaltung,
- von Einkommen, die oftmals nicht für ein anständiges Leben reichen,
- von Renten, die zum parallelen Minijob zwingen,
- von Innenstädten, welche mehr und mehr gewerblichen Leerstand aufweisen,
- von fehlenden Investitionen in Infrastruktur, Gemeinwohl und Daseinsvorsorge.
In Werkshallen, auf Baustellen, in der Pflege, Logistik, Gastronomie, im Handel und im öffentlichen Dienst – Menschen mit Migrationshintergrund tragen dieses Land: wirtschaftlich, gesellschaftlich, menschlich. Und sie tun das oft in Berufen, in denen sich andere längst verabschiedet haben – unter harten Bedingungen, mit hoher Verantwortung, in getakteten Schichten. Sie bilden aus, zahlen ein, engagieren sich – und sollen jetzt als „Stadtbildproblem“ abgestempelt werden? Das ist nicht nur unanständig, sondern auch ökonomisch unklug und politisch brandgefährlich. Wer in einem Land mit wachsendem Fachkräftemangel international um Köpfe und Hände wirbt, kann sich solche Entgleisungen nicht leisten. Deutschland braucht Migration – auch und gerade als Industriestandort.
Auch engagierte Metallerinnen und Metaller aus den Betrieben melden sich zu Wort:
Luigi Catapano, bereits in dritter Generation bei Volkswagen in Wolfsburg und IG Metall-Vertrauensmann, sagt: „In unserem Werk arbeiten Menschen aus nahezu hundert Nationen Seite an Seite. Herkunft oder Hautfarbe spielen am Band, in der Entwicklung oder in der Kantine schlicht keine Rolle – bei uns zählt Zusammenhalt, nicht Abstammung. Deshalb empfinde ich die Äußerungen des Kanzlers als direkten Affront gegen viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die jeden Tag hart arbeiten, Steuern zahlen und unser Land mittragen. Es ist schon bitter genug, dass manche auf der Straße mit Vorurteilen konfrontiert werden. Wenn jetzt auch noch ein Kanzler in diese Kerbe schlägt, ist das ein gesellschaftliches Alarmsignal. Vielleicht ist nicht unser Stadtbild das Problem – sondern das Weltbild, mit dem Herr Merz darauf blickt!“
Selin Cakir, JAV-Vorsitzende bei der Salzgitter Flachstahl, erklärt: „Es ist schon bemerkenswert – und ehrlich gesagt beschämend –, dass der Kanzler der Bundesrepublik immer wieder mit solchen verbalen Entgleisungen auffällt, anstatt mit aller Kraft für unsere Industrie, unsere Ausbildungen und unsere Zukunftsperspektiven zu kämpfen. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen haben familiäre Wurzeln in der Türkei, in Bosnien, im Iran, in Syrien, in Afghanistan oder in Ghana – sie sprechen perfektes Deutsch, zahlen ihre Steuern, machen Überstunden, übernehmen Verantwortung. Und dann hören sie ausgerechnet vom Bundeskanzler, dass sie vermeintlich ein Problem darstellen – allein durch ihre bloße Existenz im öffentlichen Raum. Was soll das für ein Signal sein an eine ganze Generation, die sich hier ihren Platz erarbeitet, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist? Wir brauchen eine Politik, die eint – nicht eine, die die Gesellschaft in gute und schlechte Nachnamen sortiert.“
Ismail Ozan, Betriebsrat bei der Mercedes Benz Niederlassung in Hannover, führt aus: „Wer glaubt, Menschen mit Migrationsgeschichte seien ein Problem im Stadtbild, hat weder unsere Städte verstanden noch unsere Betriebe betreten. Ohne Kolleginnen und Kollegen mit Einwanderungsgeschichte läuft im Handwerk, in der Industrie und im öffentlichen Wesen nichts. Während Einzelne über kulturelle Vielfalt die Stirn runzeln, halten wir den Laden am Laufen – Tag für Tag, in Schichten, unter Volllast. Wir warten, produzieren, liefern, pflegen – verlässlich, engagiert, oft unter schwierigen Bedingungen. Unsere Arbeit ist unverzichtbar. Vielleicht liegt das eigentliche Problem nicht in der Vielfalt unserer Städte, sondern im fehlenden Respekt mancher für die Realität dieses Landes. Wir brauchen keine politischen Platzanweiser, die uns erklären wollen, wer dazugehört und wer nicht. Wir brauchen politische Führung, die die echten Probleme im Land angeht – von einer schwachen Konjunktur über den Fachkräftemangel bis zu maroder Infrastruktur. Echte Politik, keine populistischen Nebelkerzen!“
Die IG Metall in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt fordert Bundeskanzler Merz auf, Verantwortung zu übernehmen und den Kurs zu ändern – weg von Spaltung und Symbolpolitik, hin zu Lösungen für die wirklichen Probleme im Land. Anstand ist nicht nur eine Frage des Tons, sondern der Haltung. „Friedrich Merz trägt Verantwortung – als Kanzler aller Menschen in diesem Land. Wer sich der Sprache der extremen Rechten annähert, verlagert den demokratischen Diskurs ins Trübe. Die CDU in ihrer Breite steht in der Pflicht, sich klar von solchen Tönen zu distanzieren“, so Bezirksleiter Gröger abschließend. Migration zu kriminalisieren, statt Integration zu gestalten, schadet am Ende allen – sozial, wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Hinweis: In diesem Kontext möchten wir Sie und Euch auf eine Kundgebung am kommenden Sonntag in Hannover aufmerksam machen - https://hannover.igmetall.de/aktuelles/meldungen/2025/wir-sind-das-stadtbild