Zukunft des VW-Werkes darf nicht vertagt werden Gewerkschaft fordert endlich Klarheit von Vorstand für Standort Osnabrück

Die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt fordert den Volkswagen-Konzern mit Nachdruck auf, endlich Klarheit über die Zukunft des Werks Osnabrück zu schaffen.

Kundgebung bei Volkswagen Osnabrück

9. Dezember 2025 9. Dezember 2025


Bei einer abendlichen Kundgebung vor den Werkstoren des Standortes im westlichen Niedersachsen machte Bezirksleiter Thorsten Gröger deutlich: „Ein Jahr nach den Zusagen der Konzernspitze gibt es kein Nachfolgemodell, keinen Investitionsplan, keine Perspektive. Das ist verantwortungslos gegenüber einer Belegschaft, die seit Jahren für Qualität, Zuverlässigkeit und Herzblut steht.“

Die Delegiertenversammlung der IG Metall Osnabrück verlegte ihren Tagungsort an einen symbolträchtigen Ort: direkt vor das Volkswagen-Werk Osnabrück, wo seit Monaten mit großer Erwartung auf konkrete Zukunftsperspektiven gewartet wird. Hunderte Beschäftigte, Mitglieder der IG Metall und Unterstützerinnen und Unterstützer kamen am Montag vor dem Werk zusammen, um ein starkes Signal an Unternehmensführung und Politik zu senden. Das Motto der Aktion: „Advent, Advent – die Zukunft brennt!“

Die IG Metall erinnerte in ihrer Ansprache an die schwierigen Tarifverhandlungen des vergangenen Jahres. Zwar gehört die Volkswagen Osnabrück GmbH formal nicht zum Haustarifvertrag der Volkswagen AG, dennoch sei es gelungen, ein umfassendes Gesamtpaket zu schnüren, das unter anderem die Fortführung der Produktion des T-Roc Cabriolets am Standort Osnabrück beinhaltet.

„Damals ist es uns mit erheblichem Einsatz gelungen, zu verhindern, dass ganze Werke dauerhaft von der industriellen Landkarte verschwinden. Für Osnabrück konnten wir wertvolle Zeit gewinnen – Zeit, die durch die Fortführung und Weiterentwicklung des T-Roc Cabrio geschaffen wurde. Zeit, die das Unternehmen hätte nutzen müssen, um belastbare, langfristige Perspektiven für Standort und Belegschaft zu entwickeln. Doch Zeit ohne Entscheidung ist kein Fortschritt.“

Der Volkswagen-Konzern steht seitdem in der Pflicht, den Standort Osnabrück über das Jahr 2027 hinaus zu sichern und eine tragfähige Zukunftsstrategie vorzulegen. „Seitdem jedoch herrschen Schweigen, Spekulationen und Stillstand. Anstatt aktiv Zukunft zu gestalten, wird auf Zeit gespielt – und das auf dem Rücken der Beschäftigten. Es ist unverantwortlich, die Kolleginnen und Kollegen seit über 365 Tagen in Ungewissheit darüber zu lassen, wie es mit ihrer beruflichen Zukunft weitergeht. Und so beginnt ein weiteres Weihnachtsfest für viele Familien mit Sorge und Unsicherheit.“, so der Bezirksleiter der IG Metall. 

Osnabrück, so der Metaller, sei kein beliebiger Standort, sondern Teil der industriellen Identität des Landes: „Dieses Werk ist nicht irgendeine Fabrik. Es ist gelebte Industriegeschichte – vom Karmann Ghia bis zum T-Roc Cabrio. Hier arbeiten Menschen mit Können, Stolz und Leidenschaft. Sie verdienen Respekt, keine Vertröstung. Mutlosigkeit ist keine Strategie – wer Zukunft will, muss investieren, nicht entlassen!“


Kundgebung bei Volkswagen Osnabrück

Auch Stephan Soldanski, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Osnabrück, übte scharfe Kritik an der zögerlichen Haltung des Konzerns: „Während andere Hersteller längst konsequent auf hybride Plattformen, Softwarekompetenz und Batterietechnologien gesetzt haben, hat Volkswagen zu lange gezögert. Jetzt den Rotstift anzusetzen, ist das genaue Gegenteil einer zukunftsorientierten Strategie. Mutlosigkeit ersetzt keinen Plan. Wer heute Werke ohne klare Perspektive zurücklässt, wird morgen keine Kapazitäten mehr haben, wenn die Nachfrage wieder anzieht.“

Immer wieder werde das Volkswagen-Werk im Fledder mit Rüstungsunternehmen oder chinesischen OEMs in Verbindung gebracht. Soldanski macht deutlich, dass diese anhaltenden Spekulationen die Belegschaft zunehmend zermürben: „Tag für Tag wird eine neue Kuh durchs Dorf getrieben. Unsere Kolleginnen und Kollegen sehen sich mit Gerüchten konfrontiert, müssen sich für Entwicklungen rechtfertigen, zu denen das Unternehmen selbst keinen einzigen Ton verlauten lässt. Ich bezweifle ernsthaft, dass der Vorstandsetage bewusst ist, was es bedeutet, beim Abendbrot zu sitzen und nicht zu wissen, wie man die Miete ab 2027 bezahlen soll. Ungewissheit über den eigenen Arbeitsplatz ist Gift – für die Gesundheit wie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“

Der Osnabrücker Gewerkschafter schildert eindringlich, wie weit die Verunsicherung bereits reicht: „Sie betrifft längst nicht mehr nur die Beschäftigten im Werk, sondern die gesamte Region. Zulieferer, Handwerksbetriebe, Bäckereien und viele weitere spüren die Auswirkungen unmittelbar. Überall wird man auf die Lage angesprochen. Volkswagen ist weit mehr als ein einzelnes Werk; Volkswagen bedeutet wirtschaftliche Tragweite für die ganze Stadt. Und Osnabrück will Industriestandort bleiben!

Wir erwarten daher, dass in den kommenden Wochen endlich klare Position bezogen wird. Unternehmen und Politik müssen jetzt gemeinsam handeln, um nachhaltige Beschäftigung zu sichern. Es kann nicht sein, dass man hier eine hervorragend eingespielte Mannschaft einfach über die Wupper gehen lässt. Wir brauchen endlich verlässliche, belastbare Zukunftsperspektiven für alle Beschäftigten an diesem Standort.“

Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter berichtet von zahlreichen Gesprächen ähnlicher Tonlage: „Die anhaltende Ungewissheit belastet die Menschen zutiefst. Ich fordere den VW-Vorstand eindringlich auf, zu seinen Zusagen zu stehen und Verantwortung für den Standort ebenso wie für die Beschäftigten zu übernehmen. Wir als Stadt stehen fest an der Seite der Belegschaft – und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, damit dieses Werk eine Zukunft behält.

Darüber hinaus unterstreicht Pötter die zentrale Bedeutung der Arbeitsplätze und betont unmissverständlich, dass Osnabrück ein Industriestandort bleiben müsse: „Die Osnabrücker Politik hat mit der einstimmig vom Rat beschlossenen Resolution frühzeitig ein klares Zeichen gesetzt. In dieser Frage stehen wir geschlossen zusammen und werden um jeden einzelnen Arbeitsplatz kämpfen. Unsere Region braucht neben einem starken Dienstleistungssektor und einem vielfältigen Handwerk auch eine robuste industrielle Basis samt ihrer Zulieferbetriebe.“

Von der Bundespolitik verlangt die IG Metall ein eindeutiges industriepolitisches Bekenntnis. Für die energieintensive Industrie sei ein verlässlicher, tatsächlich wirksamer Industriestrompreis unabdingbar. „Das Konzept aus Berlin reicht vorne und hinten nicht aus!“, kritisiert André Lücke, Betriebsratsvorsitzender der KME Germany GmbH. Eine Entlastung, die lediglich die Hälfte des Strombedarfs abdecke, könne keine ernsthafte Lösung sein. „Das ist, als würde man sein Auto nur für die Hinfahrt betanken und den Rückweg weiterhin teuer bezahlen müssen“, so Lücke, der den Vorschlag aus dem Hause Reiche als „katastrophal“ bezeichnet.

Er fordert daher entschlossenes Handeln: „Was muss denn noch geschehen, damit die Politik begreift, dass wir eine echte Entlastung brauchen? Fünf Cent müssen fünf Cent sein – und dürfen nicht durch die Hintertür wieder einkassiert werden!“

Ein weiteres Kernanliegen der IG Metall ist die Stärkung des industriellen Mittelstands und der Zulieferbetriebe. Diese Unternehmen dürften nicht zu den Verlierern der Transformation werden. Gefordert seien gezielte Investitionsprogramme sowie Local-Content-Regelungen, die sicherstellen, dass Wertschöpfung und gute Arbeit in der Region bleiben – in Niedersachsen, in Deutschland, in Europa.


Kundgebung bei Volkswagen Osnabrück

Hintergrund

Das Volkswagen-Werk Osnabrück beschäftigt rund 2.300 Menschen und ist spezialisiert auf Kleinserien- und Cabriofertigung. Im Tarifabschluss 2024 der Volkswagen AG hatte die IG Metall gemeinsam mit der Konzernführung eine verlängerte Produktion des T-Roc Cabrios sowie eine Standortperspektive über das Jahr 2027 am Osnabrücker VW-Standort hinaus durchgesetzt. Doch bis heute fehlt eine verbindliche Entscheidung über ein Nachfolgemodell oder eine klare Investitionsplanung – ein Schweigen, das die Zukunft des Werks weiter in der Schwebe hält.

Zum Industriestrompreis: Die von der Bundesregierung geplante Begrenzung des vergünstigten Industriestrompreises auf lediglich 50 Prozent des Verbrauchs und eine Laufzeit von drei Jahren bewertet die IG Metall als unzureichend und kaum investitionsfördernd für energieintensive Branchen. Sie fordert stattdessen einen verlässlichen Gesamtpreis von 5 Cent pro Kilowattstunde, der sämtliche Netzentgelte, Abgaben und Umlagen einschließt – eine Voraussetzung, um Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, Investitionen zu ermöglichen und industrielle Wertschöpfung im Land zu halten.