Winter der Aktionen Gewerkschaft mahnt vor dem Landtag - Politik braucht mehr Haltung, Mut und Nähe zur Arbeitswelt

Die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt warnt eindringlich vor den sozialen und wirtschaftlichen Folgen einer fortschreitenden Deindustrialisierung und fordert eine Industriepolitik, die den ländlichen Raum wieder in den Mittelpunkt rückt.

Gewerkschaft mahnt vor dem Landtag, Auf der Bühne: Thorsten Gröger

11. Dezember 2025 11. Dezember 2025


Mit einer Kundgebung vor dem Niedersächsischen Landtag hat die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ein eindringliches Zeichen gesetzt: für eine entschlossene Industriepolitik, für soziale Sicherheit und für eine Politik, die wieder gestaltet statt vertagt. Unter dem Motto „Advent, Advent – unsere Zukunft brennt“ versammelten sich am Mittwochabend rund 100 Metallerinnen und Metaller aus Betrieben der Landeshauptstadt und Region, um die Stimme jener zu sein, die tagtäglich in Werkhallen, Laboren und Entwicklungsbüros Zukunft schaffen. Aktuell erlebe man eine dramatische Schieflage in der Industrie: „Deutschland verliert seine industrielle Stimme – nicht immer mit einem lauten Knall, aber peu à peu“, erklärt IG Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger. „Eine fast vierstellige Zahl an Jobs geht auch bei uns in Niedersachsen jeden Monat verloren. Da muss endlich ein Riegel vor und wir müssen einen industriellen U-Turn hinlegen!“

Eine Entlassung hier, eine Verlagerung dort – und Stück für Stück bröckelt das Fundament, auf dem dieses Land steht. Diese Erosion geschieht zum Teil leise, doch ihre Folgen werden laut sein. Heute verschwindet eine Fertigungslinie, morgen ein Ausbildungsplatz, übermorgen das Vertrauen einer ganzen Region. Was bleibt, ist mehr als eine Lücke in der Bilanz – es ist ein Loch im Herzen der Gesellschaft. Wenn Arbeit verschwindet, verschwindet Kaufkraft. Wenn Werke schließen, fehlen Steuereinnahmen. Und wenn Wertschöpfung verloren geht, verliert eine Kommune ihre Zukunft.


Gewerkschaft mahnt vor dem Landtag

Appell an die Abgeordneten: Politik muss wieder greifbar werden

Der Bezirksleiter der IG Metall nutzte den Ort der Kundgebung bewusst, um eine klare Botschaft in Richtung des Landtags zu senden: „Jetzt ist die Zeit, in der Politik wieder dorthin gehen muss, wo Arbeit geschieht – in die Werkhallen, in die Großraumbüros, auf die Baustellen. Demokratie lebt von Begegnung, nicht von Erklärungen. Es reicht nicht sich mit den CEOs zu treffen, spannender sind Gespräche mit den Belegschaften und ihren Betriebsräten. Viele Beschäftigte kennen ihre Abgeordneten jedoch nur noch von Wahlplakaten – das ist zu wenig. Wer Zukunft gestalten will, muss wissen, wie Gegenwart riecht.“

Der Gewerkschafter forderte die Parlamentarier auf, Nähe zu suchen statt Distanz zu verwaltet: „Zeigen Sie Haltung, nicht nur Zustimmung. Nähe ist kein Risiko, sie ist Voraussetzung. Wer sich den Sorgen der Beschäftigten stellt, zeigt Rückgrat – und gewinnt Vertrauen. Denn Vertrauen wächst nicht in Sonntagsreden, sondern im ehrlichen, manchmal unbequemen Gespräch.“ Aufgabe der Parlamentarier sei es, den Mut aufzubringen, auch dorthin zu gehen, wo es ungemütlich wird. „In vielen Betrieben herrscht Frust, Unsicherheit, Wut – und das aus verständlichen Gründen. Menschen, die seit Jahrzehnten Verantwortung tragen, erleben, dass über ihre Zukunft entschieden wird, aber selten mit ihnen. Das schafft Angst, das schafft Misstrauen. Aber genau da muss Politik hin – an die Werkbänke, in die Schichten, in die Pausenräume. Nicht, um zu predigen, sondern um zuzuhören.“, führt der Metaller aus.

„Niedersachsen hat nie abgewartet, bis andere handeln. Ob beim Industriestrompreis oder in der Automobilpolitik – hier wurde früh erkannt, dass Zögern teurer ist als Gestalten. Mit Weitblick und Konsequenz hat das Land Initiativen im Bundesrat angestoßen, lange bevor sie in Berlin überhaupt auf der Tagesordnung standen. Und vor allem sucht man hierzulande den Dialog mit den Beschäftigten!“, heißt es von der Gewerkschaft.

Den Blick geweitet sei klar: Bekenntnisse allein schaffen keine Arbeitsplätze. Auch die beste Entschließung bleibt Papier, solange sie nicht in konkretes Handeln mündet. Industriepolitik, so die IG Metall, brauche keine weiteren Prüfaufträge, sondern Entschlossenheit, Tempo und klare Entscheidungen. „Oberste Priorität muss die Sicherung von Beschäftigung sein – in der Stahlbranche ebenso wie in der Automobilindustrie. Klimaziele und Arbeitsplatzsicherung sind keine Gegensätze. Beides gehört zusammen: ökologisch verantwortliches Handeln und soziale Verlässlichkeit. Nur wer den Wandel mit den Menschen gestaltet, wird ihn auch erfolgreich bestehen. Doch eine Dekarbonisieurng durch eine Deindustrialisierung darf es nicht geben!“, so der Metaller.


Gewerkschaft mahnt vor dem Landtag

Arbeitgeber und Sozialabbau im Fokus der Kritik

Scharf wandte sich Thorsten Gröger gegen jene Arbeitgeber, die in Krisenzeiten Verantwortung abstreifen und Standorte opfern. „Früher bauten wir Brücken zwischen Gewerkschaften, Unternehmen und Politik – Brücken aus Vertrauen, aus gemeinsamer Verantwortung, aus dem Bewusstsein, dass Wohlstand immer Gemeinschaftsleistung ist“, sagte er. „Heute reißen manche Vorstände diese Brücken ein, und zwar mit der Selbstverständlichkeit von Leuten, die glauben, sie könnten auf der anderen Seite sicher stehen. Aber niemand steht sicher auf einem abgerissenen Fundament.“

Er fand deutliche Worte für die neue Kälte in den Chefetagen: „Unternehmertum heißt Verantwortung – nicht Renditeoptimierung an der dritten Nachkommastelle. Wer sich nur noch an Quartalszahlen orientiert, hat vergessen, dass jede Bilanz von Menschen geschaffen wird. Eigentum verpflichtet – und zwar gerade in rauen Zeiten. Verantwortung zeigt sich nicht in Hochglanzbroschüren, sondern im Handeln, wenn es schwierig wird.“

Gröger kritisierte scharf, dass Sozialabbau zunehmend als „Modernisierung des Staates“ etikettiert wird – ein Euphemismus, der die Realität verschleiert. „Es ist ein Akt der Realitätsverweigerung, wenn man von ‚Leistungsgesellschaft‘ spricht, aber meint: ewig länger schuften, später in Rente, weniger Sicherheit bei Krankheit. Wer die Menschen überfordert und ihnen Wandel abverlangt, während er gleichzeitig ihre Absicherung schwächt, sägt gewaltig am sozialen Fundament!“

Vor dem Landtag untermauert die IG Metall ferner, dass Industriepolitik und Demokratie untrennbar miteinander verbunden sind: „Industrie ist keine Kostenstelle – sie ist die Lebensversicherung dieser Republik. Ohne sie gibt es keine funktionierende Pflege, keine Bildung, keine Infrastruktur. Sie schafft Steuereinnahmen, und Industrie. Industrie finanziert das Fundament und ist kein Auslaufmodell. Sie ist mehr als sprudelnde Unternehmenskassen – Industrie ist Teil einer stabilen Demokratie. Denn dort, wo Menschen sicher beschäftigt sind, wo Tarifbindung gilt und Mitbestimmung funktioniert, wächst Vertrauen. Und Vertrauen ist die Währung, ohne die kein Gemeinwesen dauerhaft bestehen kann.“

Industrie sei kein austauschbarer Sektor, sondern das Rückgrat wirtschaftlicher Eigenständigkeit – so das klare Signal der Gewerkschaft. Wenn Wertschöpfung abwandert, wird ein Land erpressbar – wirtschaftlich, technologisch und politisch. Ein starker Industriestandort ist die beste Versicherung gegen Krisen. Wer Resilienz will, muss hier investieren – in Werke, in Beschäftigte, in Ausbildung.