Vor dem Bundes-Stahlgipfel: Niedersachsen drängt auf industriepolitischen Kurswechsel

Niedersachsens Appell an Berlin im Vorfeld des Bundes-Stahlgipfels.

Stahlgipfel

6. November 2025 6. November 2025


Im Vorfeld des Bundes-Stahlgipfels richtet Niedersachsen einen deutlichen Appell an Berlin: Endlich industriepolitische Verantwortung übernehmen – für eine starke, klimafreundliche und wettbewerbsfähige Stahlindustrie! Die Akteure des Niedersächsischen Stahldialogs – bestehend aus Landesregierung, Arbeitgeberverbänden und IG Metall – fordern gemeinsam entschlossenes Handeln von Bund und EU, um die Zukunft einer Schlüsselindustrie zu sichern. Allein in Niedersachsen arbeiten rund 10.000 Menschen direkt in der Stahlproduktion und mehr als 350.000 in stahlverarbeitenden Betrieben. Mit einem Anteil von knapp 17 Prozent an der deutschen Rohstahlproduktion ist das Land einer der zentralen Stahlstandorte Deutschlands.

Die Lage der Branche ist ernst: Explodierende Energiepreise, unfaire Dumpingimporte und schleppende Entscheidungsprozesse setzen die Betriebe massiv unter Druck. Im ersten Halbjahr 2025 ist die Rohstahlproduktion in Deutschland im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 12 Prozent auf 17,1 Millionen Tonnen gesunken – und das nach einem bereits überaus schwachen Jahr 2024. Während Werke in Niedersachsen Milliarden in grüne Technologien investieren und Belegschaften den Wandel aktiv gestalten, fehlen weiterhin verlässliche Rahmenbedingungen.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne: „Die Erwartungen an den morgigen Stahlgipfel des Bundes sind klar: Wir brauchen jetzt Entscheidungen, nicht Ankündigungen. Bundeskanzler Merz und Bundeswirtschaftsministerin Reiche stehen gemeinsam mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen in der Verantwortung, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Es geht hier nicht um irgendeine Branche, sondern um das Fundament unserer Wirtschaft. Wir erwarten fairen Handel, stabile Energiepreise und Leitmärkte für grünen Stahl. Diese Punkte sind keine Wunschliste, sondern die Voraussetzung dafür, dass der Wandel zur Klimaneutralität in Deutschland gelingt. Jetzt ist die Zeit, industrielle Verantwortung zu übernehmen – für sichere Arbeitsplätze, technologische Souveränität und die Zukunft des Produktionsstandorts Europa.“

Thorsten Gröger, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt: „Wenn die Politik weiter abwartet, droht ein Szenario, das niemand will: Deutschland wird zum Abnehmer statt zum Produzenten seiner eigenen Zukunft. Stahl ist nicht irgendein Werkstoff – er ist das Rückgrat der Energie-, Bau- und Mobilitätswende. Ohne Stahl verliert Deutschland seine industrielle Handschrift. Was in Niedersachsen auf dem Spiel steht, sind keine abstrakten Zahlen, sondern reale Lebensläufe, Familien und ganze Regionen. Wer von Standortpolitik spricht, muss endlich liefern – mit einem Industriestrompreis, der diesen Namen verdient, mit einer Wasserstoffstrategie, die funktioniert, und mit einem handelspolitischen Schutz, der den heimischen Stahl vor Billigdumping bewahrt.“

Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall: „Für den Industriestandort Niedersachsen ist die Stahlbranche elementar. Sie sorgt für Wertschöpfung in Autoindustrie, Maschinenbau oder Bauwirtschaft, am Stahl hängen zudem nicht unerhebliche Teile unseres Mittelstands. Und wir erleben gerade schmerzhaft, was eine einseitige, hohe Abhängigkeit von China für unsere Industrie bedeutet – soweit dürfen wir es beim Stahl nicht kommen lassen. Damit Niedersachsen weiterhin ein relevanter Stahlindustrie-Standort bleibt, brauchen wir vor allem wettbewerbsfähige Energiepreise. Außerdem müssen wir von den Zieldebatten in der Klima- und Energiepolitik wegkommen und ehrlich darüber diskutieren, was betriebs- und volkswirtschaftlich überhaupt realistisch und mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie verantwortbar ist. Es wäre zu wünschen, dass in dieser Hinsicht vom nationalen Stahlgipfel ein Signal ausgeht, das auch anderen krisengebeutelten Industriebranchen Hoffnung macht.“

Benedikt Hüppe, Hauptgeschäftsführer der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN): „Die niedersächsische Stahlindustrie ist Fundament vieler Wertschöpfungsketten – von der Bauwirtschaft bis zur Energieversorgung. Der Niedersächsische Stahldialog hat dazu im September ein klares Signal gesetzt: Entscheidend sind faire Handelsbedingungen sowie wettbewerbsfähige Energiekosten und weniger Bürokratie. Der Staat muss in seiner Rolle als Auftraggeber Verantwortung übernehmen. Klug eingesetzt, kann öffentliche Beschaffung Motor für Innovationen sein und die Skalierung von grünem Stahl ermöglichen. Der nationale Stahlgipfel muss schnell zu praktikablen Regeln kommen, die die gemeinsamen Erfahrungen von Stahl- und Anwenderindustrien verbinden um Arbeitsplätze und gleichzeitig die Zukunftsfähigkeit der Branche zu sichern.“

Der Niedersächsische Stahldialog wurde 2019 von der Landesregierung initiiert und vereint Politik, Industrie, Gewerkschaften und Verbände in einer Allianz für den Stahlstandort. Ziel ist, die Wettbewerbsfähigkeit der Branche zu sichern und die Transformation zur Klimaneutralität aktiv zu gestalten. Zuletzt fand der 7. Niedersächsische Stahldialog am 16. September 2025 statt. Dabei richteten die Akteure folgende Forderungen an die Bundesregierung und die Europäische Kommission:

  • Wettbewerbsfähiger Strompreis: Industriestrompreis von maximal fünf Cent je kWh (inklusive Netzentgelte) – keine Subvention, sondern Standortversicherung.
  • Stromnetzentgeltbefreiung und Strompreiskompensation: Frühzeitige Verlängerung über 2030 hinaus; rechtssichere Absicherung der CO₂-Strompreiskompensation.
  • Schneller Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur: Der H₂-Kernnetz muss gebaut, nicht nur beschlossen werden.
  • Faire Wettbewerbsbedingungen: Wirksamer CO₂-Grenzausgleich (CBAM), Ausweitung auf stahlintensive Folgeprodukte, Exportlösung für deutsche Stahlhersteller.
  • Konsequenter Handelsschutz: Zölle auf russische Halbzeuge, dauerhafte Nachfolgeregelung für die 2026 auslaufenden EU-Safeguards.
  • Öffentliche Beschaffung als Hebel: Ausschreibungen auf Grundlage des Sondervermögens gezielt für in Deutschland und der EU produzierte, möglichst emissionsarme Stahlprodukte nutzen.