Handwerk Ohne Hände keine Wende – IG Metall warnt vor Handwerks-Kollaps!

Die Wärmepumpe bleibt auf der Palette, die Leitung im Neubau liegt offen, die Digitalisierung in der Gebäudetechnik stockt und das E-Auto kommt nicht vom Fleck – weil niemand da ist, der die Arbeit macht. Was sich nach Einzelbeispielen anhört, ist längst zum strukturellen Engpass geworden.

Schreinerin arbeitet an einer Maschine

10. September 2025 10. September 2025


Die Wärmepumpe bleibt auf der Palette, die Leitung im Neubau liegt offen, die Digitalisierung in der Gebäudetechnik stockt und das E-Auto kommt nicht vom Fleck – weil niemand da ist, der die Arbeit macht. Was sich nach Einzelbeispielen anhört, ist längst zum strukturellen Engpass geworden. Und mehr noch: Es ist der Kipppunkt für ganze Branchen – und für zentrale gesellschaftliche Vorhaben wie Energiewende, Wohnungsbau und Klimaschutz. Wenn die grüne Transformation gelingen soll, braucht es im Handwerk einen Arbeitskräfteboom.

Auf ihrer Handwerkskonferenz am 10. September 2025 in Hannover hat die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt diesen Zustand zum Thema gemacht – klar benennend, analytisch präzise und ohne Dramatisierung. Rund 60 Betriebsrätinnen, Beschäftigte, politische Vertreterinnen, Kammerverantwortliche und Gewerkschafter*innen diskutierten gemeinsam in der Gustavhalle am Helmkehof, wie das Handwerk als Schlüsselbranche der Transformation stabilisiert und gestärkt werden kann.

Der Tenor: Die Lage ist ernst – aber nicht ausweglos. Das Handwerk ist nicht Teil des Problems, sondern elementarer Teil der Lösung. Doch ohne konkrete Weichenstellungen drohen gewachsene Strukturen, tarifliche Errungenschaften und betriebliche Stabilität unter dem Druck von Fachkräftemangel, Tarifflucht und Nachfolgekrise zu erodieren.

Die Konferenz legte eine Vielzahl fundierter Daten, Erfahrungsberichte und Praxisbeobachtungen offen:

  • In zentralen Zukunftsgewerken wie Sanitär, Heizung, Klima, Elektrotechnik oder Kfz fehlt es an gut ausgebildeten Fachkräften – und die Zahl der Ausbildungsabbrüche steigt.
  • Tarifbindung nimmt ab, insbesondere bei kleineren Betrieben. Das sorgt nicht nur für eine Wettbewerbsverzerrung innerhalb der Branche, es sorgt auch für Entgeltdruck, unklare Arbeitszeiten und weniger Verbleib im Beruf. Eine Abwanderung in andere Branchen, wie die Industrie droht - mit der Folge, dass die Grundlage der Transformation ins Stocken gerät.
  • Eine massive Welle an Betriebsübergaben steht an: In Niedersachsen und Sachsen-Anhalt sind in den nächsten Jahren tausende Betriebe betroffen – viele davon familiengeführt und ausbildend. Doch es fehlt an Nachfolge, Finanzierung und Beratungsstrukturen.

„Das Handwerk ist kein nachgelagerter Sektor – es ist der Ort, an dem Zukunft konkret wird. Wenn wir es zulassen, dass dort die Strukturen bröckeln, gefährden wir die gesamte sozial-ökologische Transformation!“, attestiert Markus Wente, IG Metall-Handwerksexperte.

Eine Podiumsdiskussion mit Nadine Boguslawski (Tarifvorständin der IG Metall), Steffen Krach (Regionspräsident der Region Hannover) und Dr. Hildegard Sander (Hauptgeschäftsführerin der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen) brachte politische Verantwortung, betriebliche Realität und institutionelle Perspektive zusammen.

„Es müssen weitaus mehr Unternehmen den Wert tariflicher Leistungen anerkennen. Das Handwerk ist der starke Zukunftsmotor fürs Land, der mit attraktiven Arbeitsbedingungen läuft. Die Beschäftigten im Handwerk sind der Schlüssel für eine funktionierende Grundversorgung, Energie-, Antriebs- und Wärmewende. Voran geht es nur mit guter Arbeit und guten Leuten. Das bieten vor allem tarifgebundene Betriebe: Tarifverträge sind ein Qualitätssiegel für Betriebe, Beschäftigte und Kunden. Deshalb wird es höchste Zeit, dass ein Bundestariftreuegesetz gute Beschäftigung fördert.“ so Nadine Boguslawski, Tarifvorständin der IG Metall.

„Das Handwerk ist das Rückgrat der Wirtschaft in der Region Hannover. Allein 54.000 Menschen arbeiten hier regionsweit, das ist einer der größten Branchen. Deshalb unterstützen wir mit unserer Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung die Betriebe in der Region Hannover ganz konkret – mit vielfältigen Themenworkshops zu digitalen Themen, nachhaltigen Investitionen über die Green Economy-Förderung und gezielten Weiterbildungsangeboten im regioLab+. Mit Projekten wie dem KI-Netzwerk KI.WI oder der Nachfolgeplattform rfolg.com sichern wir außerdem, dass Handwerksbetriebe auch in Zukunft bestehen und innovativ bleiben. So schaffen wir Rahmenbedingungen, die unseren Handwerker*innen Stabilität geben und gleichzeitig Zukunftsthemen wie Klimaschutz, Digitalisierung und Fachkräftesicherung voranbringen.“, erklärt Steffen Krach, Regionspräsident der Region Hannover.

„Handwerk ist arbeits- und ausbildungsintensiv, familiär ausgerichtet, standortverbunden und denkt über Generationen. „Think small first“ sollte im Mittelpunkt aller politischen Entscheidungen stehen. Handwerk und Mittelstand gehören in den Fokus politischen Handelns. Das bedeutet: keine überzogenen bürokratischen Anforderungen im Hinblick auf Nachweis- und Dokumentationspflichten und keine Überforderung durch zu hohe Steuern und Sozialabgaben. Speziell die Sozialabgaben belasten vor allem arbeitsintensive Wirtschaftsbereiche überproportional. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Handwerk mehr als doppelt so arbeitsintensiv ist wie das produzierende Gewerbe. Schließlich ist zu gewährleisten, dass flächendeckend in den Grundschulen benoteter Werkunterricht angeboten wird, um jungen Menschen zu ermöglichen, ihre Fähigkeiten und Talente in größerer Breite zu erfassen. Dies muss der Start in eine gute Berufsorientierung sein – mit dem Ziel größerer Chancen für alle und weniger Schulfrust und -druck!“, antwortet Dr. Hildegard Sander, Hauptgeschäftsführerin Handwerkskammer Niedersachsen, auf die Frage wie das Handwerk zu stärken sei.

Einig war man sich: Es braucht einen stärkeren politischen Fokus auf das Handwerk – durch bessere Berufsorientierung, gezielte Förderung tarifgebundener Betriebe, flankierende Finanzierung von Nachfolgeprozessen, verbesserte Integration von Zugewanderten und eine gesamtgesellschaftliche Aufwertung handwerklicher Arbeit. Besondere Aufmerksamkeit erhielt die Frage der Tarifbindung: Wo sie gegeben ist, bleiben Fachkräfte im Beruf, wird ausgebildet, entstehen Investitionen in Maschinen, Menschen und Strukturen. Wo sie fehlt, brechen Fachkräfte weg, bleibt Qualifikation häufig aus und steigen Willkür und Nasenfaktor in den Arbeitsbedingungen.

Sowohl in Niedersachsen als auch im Bund wird zur Stärkung der Tarifbindung aktuell an Tariftreue- und Vergabegesetzen gefeilt. Diese sind eine gute Basis, gehen jedoch nicht weit genug. Nicht tarifgebundene Betriebe können hier Tariflöhne garantieren, häufig jedoch außerhalb tariflicher Arbeitszeit, Zuschläge und Sonderzahlungen – und nur für die Dauer des Auftrages. Wer Tarifbindung wirklich stärken will, darf öffentliche Aufträge ausschließlich an originär tarifgebundene Verbandsbetriebe vergeben. Nur so kann ein steuerfinanzierter Tariflohn und ein möglichst geringer bürokratischer Aufwand gewährleistet werden. Gleichzeitig stärkt es die Arbeitgeberverbände als Sozialpartner, die ebenfalls seit Jahren einen Mitgliederschwund zu verzeichnen haben, und damit den Flächentarifvertrag im Handwerk. „Flächentarifverträge sind nicht bürokratische Altlasten – sie sind der soziale Vertrag, auf dem wirtschaftlicher Fortschritt im Handwerk aufbauen muss“, fügt Markus Wente von der IG Metall an.

Besonders deutlich wurde auf der Konferenz, wie unterschätzt die Krise der Betriebsnachfolge ist. Während die öffentliche Debatte sich auf Start-ups und Hightech konzentriert, fehlt in tausenden Betrieben schlicht der Mensch, der übernimmt. Nicht, weil kein Interesse besteht – sondern weil Know-how, Eigenkapital oder Begleitung fehlen. Die IG Metall fordert daher ein Nachfolgemodell Handwerk, das tarifgebundene Übergaben aktiv unterstützt.

Trotz des kritischen Befundes war die Konferenz von einem klaren Zukunftswillen getragen. In vielen Beiträgen wurde deutlich: Es gibt sie, die guten Beispiele – Betriebe mit aktiver Mitbestimmung, attraktiven Tarifverträgen und hoher Ausbildungsqualität. Diese Beispiele sind kein Einzelfall, sondern Indikatoren für das Potenzial des Handwerks, wenn es richtig unterstützt wird. Die IG Metall wird diese Betriebe weiter stärken, vernetzen und sichtbar machen – und damit den Beweis liefern, dass Handwerk nicht Auslaufmodell, sondern Gestaltungsraum ist. „Das Handwerk kann Transformation – wenn man es lässt. Es braucht nur die richtigen politischen Entscheidungen, die richtigen tariflichen Regeln und vor allem: Respekt für seine Leistung“, so das Urteil der IG Metall.

Forderungen der IG Metall im Überblick:

  • Tarifbindung flächendeckend sichern und ausbauen
  • Ausbildungsqualität und Berufsorientierung stärken – mit tariflicher Absicherung.
  • Betriebsnachfolge aktiv unterstützen – über Finanzierung, Beratung und Übergabestrukturen
  • Zuwanderung passgenau gestalten – durch Qualifizierung, Integration und Schutzrechte
  • Handwerk 4.0 sozial gestalten – Digitalisierung mit Beteiligung, nicht als Rationalisierung