Denn die niedersächsische Stahlindustrie steht nicht nur für eine traditionsreiche Branche, sondern für die industrielle Substanz und Souveränität des Landes. Stahl ist Garant für Wohlstand, tarifliche Sicherheit und sozialen Aufstieg. Heute aber droht er, zwischen den Mühlsteinen geopolitischer Spannungen, explodierender Energiepreise und politischer Untätigkeit zerrieben zu werden. Die IG Metall macht deutlich: Stahl ist Zukunft. Ohne Stahl wird es keine Energiewende, keine Mobilitätswende, keine Klimaneutralität geben. Ohne Stahl verliert Europa die Fähigkeit, selbstbestimmt zu handeln. Ohne Stahl droht Niedersachsen ein industrielles Herzstück zu verlieren – mit massiven Konsequenzen für Standorte in Salzgitter, Osnabrück und in der gesamten Bundesrepublik.
Die Zahlen und Fakten sprechen eine klare Sprache. 2024 zahlte die deutsche Industrie für Strom fast doppelt so viel wie Wettbewerber im europäischen Ausland. Im gleichen Atemzug warnt die IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt vor einem strukturellen Risiko: Die weltweite Überkapazität am Stahlmarkt liegt derzeit bei geschätzten 700 Millionen Tonnen. Diese Überproduktion – insbesondere aus Staaten mit stark subventionierten Industriestrukturen – setzt europäische Anbieter unter massiven Preisdruck. Wenn Berlin und Brüssel nicht entschieden gegensteuern, droht Europa nicht nur Marktanteile zu verlieren, sondern auch seine industrielle Tiefe und strategische Autonomie aufs Spiel zu setzen.
„Wir erleben gegenwärtig, wie gefährlich es ist, wenn politische Entscheidungen aufgeschoben werden“, erklärt Stephan Soldanski, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Osnabrück. „Die Beschäftigten in unseren Werken brauchen keine Absichtserklärungen, sondern klare politische Zusagen. Wer weiter auf Zeit spielt, nimmt sehenden Auges den Verlust industrieller Substanz und zehntausender Arbeitsplätze in Kauf. Stahl ist nicht irgendein Produkt – er ist das Fundament unserer industriellen Wertschöpfung. Ohne eine entschlossene Industriepolitik verspielt Deutschland seine Zukunftsfähigkeit.“
Auch in Salzgitter, einem der größten Stahlstandorte Europas, wächst die Ungeduld. Matthias Wilhelm, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Salzgitter-Peine, betont: „Die Politik muss begreifen, dass die Transformation der Stahlindustrie eine nationale Aufgabe von höchster Tragweite ist. Wer Klimaneutralität ernst meint, muss jetzt handeln: mit wettbewerbsfähigen Strompreisen, einer leistungsfähigen Wasserstoff-Infrastruktur, Schutz vor unfairem Wettbewerb und klaren Abnahmeverpflichtungen für grünen Stahl. Alles andere wäre industriepolitische Verantwortungslosigkeit.“
Die IG Metall knüpft große Erwartungen an die landespolitischen Initiativen und fordert einen entschlossenen Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Mitbestimmung, um gemeinsam zukunftsfähige Lösungen zu gestalten.
Forderungen der niedersächsischen IG Metall an die Politik:
1. Sofortmaßnahmen für bezahlbaren Industriestrom
- Einführung eines befristeten Industriestrompreises von 5 Cent pro Kilowattstunde für energieintensive Branchen, bis ein neues Strommarktdesign wettbewerbsfähige Preise langfristig garantiert.
- Deutliche Entlastung bei den Netzentgelten, finanziert aus dem Bundeshaushalt.
- Entbürokratisierung der Beihilfen zur Strompreiskompensation und Ausweitung auf kleine und mittlere Unternehmen.
- Planungs- und Genehmigungsturbo für Erneuerbare Energien und Netze sowie Speicher.
2. Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft
- Ausbau der nationalen Wasserstoffproduktion.
- Aufbau eines bundesweiten H₂-Backbones und gesicherte Importkorridore.
- Preisbrücken (z. B. Carbon Contracts for Difference) bis Skaleneffekte greifen.
3. Grüne Leitmärkte schaffen – Automobilindustrie als Schlüssel
- Öffentliche Aufträge müssen verpflichtend CO₂-reduzierten Stahl aus Deutschland bevorzugen.
- Einführung verbindlicher Grünstahlquoten: um Investitionen abzusichern und die Transformation verbindlich voranzutreiben.
4. Fairen internationalen Wettbewerb sichern
- Konsequente Anwendung und schnelle Anpassung von Anti-Dumping- und Anti-Subventionsinstrumenten.
- Wir brauchen effektive post-safeguard Instrumente, die ebenfalls Schlupflöcher schließen.
- Europäische Stahlindustrie wirksam gegen unfaire Importe schützen.
- Einnahmen aus dem CO₂-Grenzausgleich (CBAM) zweckgebunden für Transformation und Beschäftigungssicherung einsetzen.
5. Transformation sozial gestalten
- Beschäftigungssicherung durch Qualifizierung: Jeder Arbeitsplatz, der sich durch die Transformation verändert, muss durch Weiterbildung abgesichert sein.
- Tarifbindung und Mitbestimmung als Voraussetzung für öffentliche Förderung.
- Standortgarantien der Unternehmen: Wer öffentliche Mittel erhält, muss in Deutschland investieren.
(Presseinformation: 090/2025)